I—
<
O
2
L U
O
o
K LA S S IK /^
l u i i a x
PRCgaRDICN
Diverse Kom ponisten
AN DIE GELIEBTE
Julian Prégardien, Christoph Schnackertz
Myrios/HM
CD
(
60
’)
Pianissimo-Tenor,
Text-Behand-
lung ungemein flexibel, betörend
schöne Jünglingsstimme. Dass Ju-
lian Prégardien einen großen Na-
men trägt, ist offenbar kein Problem:
Immer wieder tritt er mit seinem Va-
ter Christoph Prégardien auf. Des-
sen Liedklasse an der Kölner Musik-
hochschule betreut unter anderen
Christoph Schnackertz. Dass Julian
Prégardien diesen über einen wun-
derbar filigranen Anschlag verfügen-
den Pianisten als Begleiter für sich
gewinnen konnte, muss als Glücks-
fall gelten. Ihre Lied-CD (Debüt des
Sängers) lebt nicht wenig von des-
sen sensibler Begleitung.
Julian Prégardien hat sein Pro-
gramm mit Herzblut zusammenge-
tellt. Schon die Beethoven-Klam-
mer („An die ferne Geliebte“, „Re-
signation“) lässt den klugen drama-
turgischen Aufbau des Programms
erkennen. Einer persönlichen Aus-
wahl von Mörike-Liedern Hugo
Wolfs gehen die „Mädchenblumen“
von Richard Strauss voran, bei de-
nen man in der Regel einen Sopran
gewohnt ist, auch wenn sie dezidiert
für Tenorstimme konzipiert sind. Bei
diesem Zyklus sind bezüglich einer
noch nicht gänzlich gefestigten
Extrem-Höhe die einzigen Vorbehal-
te anzubringen. Ansonsten wirkt Ju-
lian Prégardiens fein gesponnener
Belcanto-Stil umwerfend, ja narko-
tisch. Beim verwehenden Ende von
Wolfs „Lied vom Winde“ imaginie-
ren die beiden Künstler ein sublimes
Waldweben, einen geradezu magi-
schen „Lichtgesang“ (Wolfs „An die
Geliebte“).
Eine veritable Werkentdeckung
sind Carl Maria von Webers „Die vier
Temperamente beim Verlassen der
Geliebten“, humorige bis sarkasti-
sche Beschreibung männlicher Ver-
haltensweisen. Die rhetorische Va-
riabilität des Sängers lässt vermu-
ten, dass er auch ein überzeugen-
der Bühnendarsteller ist.
C h r is t o p h Z im m e rm a n n
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
CtL
U
3
U
3
QC
o
CD
o
o
QC
<
6
o
Diverse Kom ponisten
BEHIND THE LINES
Anna Prohaska, Eric Schneider
DG/Universal CD_______________ (
76
)
Vor
100
Jahren brach der Erste Welt-
krieg aus. Grund genug für Anna
Prohaska, sich in ihrem Recital mit
dem Phänomen „Krieg“ musika-
lisch zubeschäftigen. Atemberau-
bend abwechslungsreich präsen-
tiert sich die Sopranistin bei dieser
Tour de force mit Liedern von Eis-
ler, Faure, Ives, Liszt, Mahler, Quil-
ter, Rachmaninoff, Rihm, Schubert,
Schumann, Weill und Hugo Wolf.
Mal zärtliches Tambourmädchen,
mal robuste Mutter Courage. Erst
fröhliche Flintenfrau. Dann trauri-
ge Standarte. Und immer mit einem
leichten, kritischen Blinzeln aus
historischer Distanz. Dies Album
ist ein Lebensbeweis der Tatsache,
dass auch heute noch anspruchs-
volle Liederprogramme zum Erfolg
geführt werden können. Begeis-
ternd!
K L K
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Überzeugt mit anspruchsvollem
Liedprogramm: Anna Prohaska
''«Mo»»'5
'
J. P. Rameau, György Ligeti
SUITE EN SOL, MUSICA RICERCATA
Cathy Krier
Avi CD
(
64
’)
Auf ihrer dritten CD hat Cathy Krier
ein Niveau erreicht, das zum Ver-
gleich mit Referenzeinspielungen
berechtigt: Bei Rameau ist das ei-
ne von Alexandre Tharaud (Har-
monia Mundi), im Fall von Ligeti
die Pierre-Laurent Aimards (Sony
Classical). Zwar agiert Tharaud ge-
schmeidiger, eleganter, und Aimards
Differenzierungskunst in puncto
Phrasierung und Klangfarbe ist nur
schwer zu übertreffen. Dafür gestal-
tet Cathy Krier diese „Charakterstü-
cke“ oft mit mehr Innenspannung
als die beiden Franzosen, wobei -
unterstützt durch Flügelintonation
und Aufnahmetechnik - ihr glän-
zend-silberner Ton betört.
A . K u .
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Gustav M ahler
SINFONIE NR. 1
(HAMBURGER FASSUNG)
NDR-Sinfonieorchester, Thomas Hengelbrock
Sony CD
(
54
’)
Mahlers „Titan“ einmal anders:
Thomas Hengelbrock legt seiner
Einspielung die Fassung zugrunde,
die der Komponist für die Hambur-
ger Aufführung im Oktober
1893
er-
arbeitete: mit dem „Blumine“-Satz
und mit von der Endversion abwei-
chenden Details in der Orchestrie-
rung. Außerdem trugen in Hamburg
die einzelnen Sätze noch program-
matische Überschriften, die Mah-
ler später tilgte. Hengelbrock ist
nicht der Erste, der diese Frühfas-
sung präsentiert - es gibt zum Bei-
spiel eine Aufnahme mit Jan Wil-
lem de Vriend und dem Niederlän-
dischen Sinfonieorchester (Challen-
ge) -, doch handelt es sich um eine
Ersteinspielung nach der Neuen Kri-
tischen Gesamtausgabe.
Sowohl Hengelbrock als auch das
NDR-Sinfonieorchester zeigen star-
ke Affinität zu Mahlers Klangwelt:
Sehr schön ist vor allem das lang-
same Erwachen der reglosen Na-
tur im Kopfsatz realisiert, mit viel
Gespür für den Charakter dieser
Musik. Dabei gelingt es Hengel-
brock, die spezifisch Mahler’sche
Polyfonie der Klangschichten klug
zu strukturieren. Dem Scherzo be-
kommt das rasche Tempo, das Hen-
gelbrock hier aufgrund der Partitur-
vorschrift wählt, ausgesprochen gut,
und sowohl im Trio als auch im lang-
samen Satz verleihen sorgfältig ge-
wählte Rubati und Portamenti der
Musik das passende alt-österreichi-
sche Antlitz. Die Klezmer-Episoden
könnten vielleicht mit etwas mehr
Mut zur Trivialität intoniert werden,
aber das hat sich seit Kubelfk und
Bernstein eh niemand mehr getraut
(warum eigentlich nicht?). Auch ei-
ne noch stärkere dramatische Zu-
spitzung zu Beginn des Finales hät-
te nicht geschadet; insgesamt je-
doch überzeugt Hengelbrocks Mah-
ler-Sicht durchaus. Das Klangbild
bietet größtmögliche Brillanz.
T h o m a s S c h u lz
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
132 STEREO 9/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht